V. Olympische Winterspiele 1948
Februar 1948: Der St. Moritzer Gemüsehändler Nino Bibbia saust kopfvoran durch einen Eiskanal und gewinnt Gold für Italien im Skeleton. Sein Schulfreund Edy Reinalter kurvt am gleichen Tag über die Sonnenhänge von Corviglia und wird Olympiasieger im Slalom. Gegenüber springen die Skandinavier über die Olympiaschanze zum Dreifachsieg. Ihnen nach springt noch ein Amerikaner, der sich auch von einem gebrochenen Arm nicht zurückhalten lässt.
Die V. Olympischen Winterspiele in St. Moritz schreiben Geschichte. Nicht so sehr wegen sportlicher Rekorde, denn davon gibts wegen der warmen Temperaturen nur wenige. Aber diese Winterspiele schreiben Geschichte gleich in der Mehrzahl. Hier ereignen sich komische und berührende Geschichten.
Denn bei allem Ehrgeiz und bei allen Enttäuschungen, die zum Sport gehören: Auch die zweiten Winterspiele, die in St. Moritz stattfinden, haben nichts von professioneller Verbissenheit, und niemand macht hier den grossen Gewinn. Die meisten Sportler gehen nach den Spielen nach Hause und arbeiten wieder als Postbote, Lehrer oder Unternehmer. Aber hier in St. Moritz freuen sie sich – über den Sport, die Fairness, das internationale Miteinander.
Noch immer herrscht hier also der alte olympische Gedanke von Fairness vor, hauptberufliche Sportler sind gar nicht erst zugelassen. Das professionelle Trainieren und Ausüben einer Sportart würde einen Verstoss gegen das Gesetz von Fairness und Gleichheit bedeuten. Alle Sportler in St. Moritz sollen zu gleichen Bedingungen antreten, niemand soll einen Vorteil haben.
Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg flackert in St. Moritz damit der Gedanke von sportlicher Fairness wieder auf. Die Leistungen werden zwar nach Nationen gewertet, aber nicht nationalistisch instrumentalisiert. Sportler, sogar ganze Mannschaften schauen sich die Wettbewerbe in anderen Disziplinen an, man lernt sich kennen, tauscht sich aus. Und vielleicht trägt die gute Atmosphäre in St. Moritz auch dazu bei, dass Antoinette Meyer, Silbergewinnerin im Slalom, im gleichen Jahr noch den Abfahrts-Bronzegewinner Karl Molitor heiratet …
Skeleton
olympische Spiele 1948
Donnerstag, 5. Februar 1948: 13 Fahrer sind noch übrig. Auf Hugo Kuranda (AUT) und Christian Fischbacher (SUI) wartete man bereits am Dienstag vergeblich im Ziel. Und heute, da die drei weiteren Läufe nicht mehr vom Startpunkt «Junction», sondern von ganz oben gestartet werden, kommen noch weniger Fahrer im Ziel an. Der Schweizer Milo Bigler spurtet zwar nach einem Sturz noch seinem Skeleton nach und beendet die erste Fahrt, stürzt aber im dritten Lauf erneut. Letztlich überstehen nur neun von 15 Fahrern alle Läufe.
Einem dieser neun Fahrer kommt seine Erfahrung zugute: John Rutherford Heaton (USA) hat bereits vor 20 Jahren auf dem legendären Cresta Run olympisches Silber gewonnen – und heute wird er erneut Zweiter.
Für die grosse Überraschung sorgt aber Nino Bibbia: Der Italiener, der in St. Moritz aufgewachsen ist, wird Olympiasieger. Und das am selben Tag wie sein Schulfreund Romedy «Edy» Reinalter, der den Spezialslalom gewinnt. Nino Bibbia sieht man übrigens am Samstag im Vierer-Bob auf den 6. Platz fahren. Und Skeleton fährt er noch bis er 76 Jahre alt ist. Er bestreitet mehr als 230 Rennen.
Skeleton-Ausrüstung 1948: Sturzhelm, Aluminium-Schalen an Händen, Stiefel mit Zacken, Ellbogen- und Kniebandagen aus Leder.
Bahndaten: Der Cresta Run weist bei einer Länge von 1 214 Metern zehn Kurven und einen Höhenunterschied von 157 Metern auf.
Persönliches: Nino Bibbia wollte 1948 gleich in fünf Disziplinen starten, da er auch begeisterter Hockeyspieler, Bobfahrer, Langläufer und Skispringer war.
Sieger
Donnerstag, 5. Februar 1948
1. Nino Bibbia (ITA), 323,2 s
2. John Rutherford Heaton (USA), 324,6 s
3. John Crammond (GBR), 325,1 s
(jeweils Gesamtzeiten von sechs Läufen)
Bob
olympische Spiele 1948
Samstag, 7. Februar 1948: Man könnte ja schon die Nerven verlieren. Gestern gabs einen Wasserrohrbruch, das Bobrennen musste mitten im zweiten Lauf abgebrochen werden. Und heute merken die US-Amerikaner kurz vor dem Start, dass sie eine Schraube locker haben. Macht aber nichts: Ruhig und gefasst bringen sie ihren Vierer-Bob in Ordnung und fahren in zwei von drei Läufen Bestzeit. Das genügt. Gold für USA II.
Und die Schweizer? Im Zweier-Bob haben Felix Endrich und Friedrich Waller bereits letzten Samstag Gold geholt, heute sitzen die beiden Olympiasieger auch im Vierer-Bob. Und am Steuer von SUI I sitzt jetzt Fritz Feierabend, der sich zusammen mit seinem neuen Bremser Paul Hans Eberhard letzten Samstag olympisches Silber geholt hat. Heute reicht es trotzdem nicht, SUI I fährt knapp am Podest vorbei. Vierter Platz hinter USA I und den überraschend guten Belgiern.
Fritz Feierabend hat dennoch Grund zur Freude. Der Olympiasieger im Zweier-Bob, Felix Endrich, ist sein ehemaliger Schüler – und hat mit einem der legendären, von Vater Carl und Sohn Fritz konstruierten «Feierabend-Bob» gewonnen.
Kontinuität: Der Streckenverlauf ist heute noch ähnlich wie bei der Eröffnung 1904, Ausbauten wurden vor allem durch die höheren Fahrgeschwindigkeiten nötig (Länge 1948: 1 576 Meter; Höhenunterschied: 130 Meter; Kurven: 16).
Nostalgie: Die legendären Feierabend-Schlitten kommen heute noch bei speziellen Anlässen zum Einsatz.
Sieger Zweier-Bob
Samstag, 31. Januar 1948
1. SUI II (Endrich, Waller), 05 : 29,2 Min
2. SUI I (Feierabend, Eberhard), 05 : 30,4 Min
3. USA II (Fortune, Carron), 05 : 35,3 Min
(jeweils Gesamtzeit von vier Läufen)
Sieger Vierer-Bob
Samstag, 7. Februar 1948
1. USA II (Tylor, Martin, Rimkus, D’Amico), 05 : 20,1 Min
2. BEL (Houben, Mansveld, Niels, Mouvet), 05 : 21,3 Min
3. USA I (Bickford, Hicks, Dupree, Dupree), 05 : 21,5 Min
(jeweils Gesamtzeit von vier Läufen)